Donnerstag, 19. November 2015

Wintergäste

von Sybil Volks


Wintergäste von Sybil Volks

Hallöchen ihr Lieben,


passend zum stürmischen und immer kälter werdenden Wetter konnte ich ein Buch ergattern, dem es in einer unvergleichlichen Weise gelingt, das Gefühl von Sturm, Kälte und Schnee perfekt einzufangen.

Also alle Mann an Deck, wir lichten die Anker und segeln zu einer kleinen Insel in der Nordsee, wo bald ein Schneesturm aufkommen wird, der alles unter sich begräbt. Wickelt euch in dicke Decken ein und holt die Kerzen raus, wir legen ab.

Inhalt:


Inge ist tot. Zumindest glaubt Kerrin das und alarmiert die vier Kinder der alten Dame. Doch nachdem alle kontaktiert wurden und sich mit Zug, Auto, Flugzeug und Fähre auf den Weg ans Meer zu "Haus Tide" machen, stellt sich heraus, dass Inge für eine tote Frau doch noch ziemlich lebendig ist.

So verbringt die Familie ungewollt kurz nach Weihnachten ein paar Tage zusammen, die durch einen plötzlich hereinbrechenden Sturm, begleitet von Blitzeis und Schneemassen, länger andauern, als den meisten von ihnen lieb ist. Wie nicht anders zu erwarten, sind bei der unfreiwilligen Familienansammlung Streitigkeiten und das Aufwärmen alter Geschichten vorprogrammiert. 

Charaktere:


Die Idee der toten Inge, die doch nicht tot ist, hat mir gut gefallen. Die alte Frau besitzt Humor und Herz und wird einem schnell sympathisch. Das erste Kapitel ist voller Witz und verleitet zum Schmunzeln. Alle Protagonisten (Inge, ihre 4 Kinder, deren Partner und Kinder) werden vorgestellt. Trotz der vielen Personen findet man aber schnell in die Geschichte, zumal eine Namensliste zu Beginn des Buches bei Unklarheiten schnell weiter hilft. 

Was in der Vorstellung der Protagonisten auffällt: Jeder hat Probleme, und zwar so einige. Meiner Meinung nach teilweise so viele, dass es irgendwann völlig absurd wird. Mit den Ticks und Macken, die jeder zusätzlich en masse besitzt, empfinde ich die Personen als überzeichnet und letztlich etwas schrullig.

Die vielen Geheimnisse und Verstrickungen der verschiedenen Geschichten sind teilweise wirklich überraschend, manchmal aber auch ein Tick zu viel, um glaubwürdig zu erscheinen. "Weniger wäre mehr" ist für mich daher die passendste Beschreibung der Figuren.

Meine Meinung:


Das komplette Buch behandelt 4 Tage, die an einigen Stellen etwas aufgeplustert wirken. Den Witz im ersten Kapitel und die vielen inneren Monologe, die immer wieder zeigen, wie sehr sich Gedanken der einzelnen Protagonisten von dem unterscheiden, was sie letztlich sagen, waren wirklich gelungen und haben zum Nachdenken angeregt. 

Auch hat mir die teilweise wirklich poetische Sprache mit einigen Doppeldeutigkeiten und Raum für Interpretation gut gefallen. Die Themen, mit denen sich die Figuren im Großen und Ganzen beschäftigen, wirken realistisch, die Umsetzung im einzelnen jedoch nur noch selten.

Was mir gar nicht gefallen hat, war die starke Nutzung von Klischees, wie beispielsweise bei der Darstellung von Inka: Die pubertierende 17 Jährige, die rebelliert und deshalb von einen Tag auf den anderen Gothic wird, um in den "Club der Untoten" zu kommen, alles peinlich findet, ihr Zimmer in einer Nacht und Nebel Aktion schwarz malert, sich heimlich tätowieren lässt, einer toten Krähe Federn ausreißt, um sie sich ins Haar zu binden..   

Die größte Enttäuschung war für mich allerdings das Ende. Alle Probleme, die bereits ab dem ersten Kapitel erläutert werden und mit denen man sich beschäftigt, sich immerzu fragt, wo die Reise hingeht und wie die Protagonisten sie zu lösen gedenken - wirklich ALLE - bleiben offen. Ich mag offene Enden, wenn sie zu der Geschichte passen und bei einigen Handlungssträngen des Buches wäre ein offenes Ende durchaus passend, aber das gar nichts abgeschlossen wird, weckt in mir das Gefühl, dass ich um Antworten betrogen wurde. Da ein zweiter Teil geplant ist, wirkt dieses Buch auf mich eher wie eine Hinführung zum zweiten Roman, als ein eigenständiges Werk.

Ich gebe dem Buch deshalb 2 von 5 Sternen.

Lieblingszitate:


"Die Wasserstoffmoleküle des warmen Atems werden in der kalten Luft zu Wasserdampf, hat Berit irgendwo gelesen, aber was, fragt sie sich, wird aus den in die Luft gesprochenen Wörtern: Lösen sie sich in Nichts auf, sind sie für immer verhallt und verschwunden?"

"Was nutzte ihr die frische Luft hier oben, wenn sie unter ihren Mitmenschen nicht frei atmen konnte [...]"

"Ohne Tee hilft Tee mit Rum sogar besser."

"Leise streicht er über die Saiten seiner stromlosen E-Gitarre und fragt sich, warum man eigentlich nie weiß, dass man glücklich ist, sondern immer nur, dass man es war."

"Vielleicht könnte man sich das Leben ungemein erleichtern, wenn man alle Entscheidungen dem Zufall überließe. Warum sollte der Zufall dümmer sein als Orakel, Selbsthilferatgeber, Therapeuten oder Gott? Noch dazu gab es den Zufall umsonst."

- Andine


Bildquelle: http://www.dtv.de/_cover/165/wintergaeste-9783423260800.jpg

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